Machen Sie's gut (Teil 2/2)

20. Juni 2012

...

So saßen wir dann diesmal zu dritt im Zug und ließen die Vorkommnisse der letzten Stunden sacken.
Neulich hatte ich mal wieder Geburtstag, und ich versuchte mich daran zu erinnern, wie meine Wahrnung das Alter anderer Leute betreffend war als ich noch 16 war. Es fiel mir nicht mehr ein. Aber ich dachte an die schönen Dinge, die mir Leute an meinem letzten Geburtstag brachten. 

Es gab wunderschöne Blumen

 und einen bronzenen Engel, der sich auf einem Altar ablegt.

Ich fühlte mich plötzlich erschöpft und hätte mich auch gern irgendwo so abgelegt. Aber wir waren schon wieder zu Hause angekommen und beschlossen noch eine Bar aufzusuchen. Wir gingen zu meiner Lieblingskneipe. Das Programm des Abends war so konträr zu dem eben erlebten, daß meine beiden Begleiter sich bereits nach einem Bier von mir verabschiedeten. Mir gefiel die Abwechslung, und ich blieb noch lange. Ich traf eine liebe Freundin, und obwohl ich kickern musste hatte ich eine Menge Spaß. Ich blieb und blieb und ging irgendwann.
Es dämmerte schon längst, es war fast fünf Uhr, und die Luft war wunderschön. Ich fühlte mich gut und freute mich auf mein geliebtes Bett, die nächsten Tage und vor allem auf Sonntag.
Ich bog in die letzte Straße ein und war fast da. Aber schon von weitem hörte ich einen Mann brüllen. Er saß auf seinem Fahhrad und beschimpfte einen Taxifahrer, der gerade drei junge Gäste absetzte. Er brüllte in einer rauhen lauten Stimme: "Du hast mir die Vorfahrt genommen! Ich zeig Dich an!" Der Taxifahrer blieb ruhig, rief "Mach doch!" aus dem Fenster und fuhr lächelnd los. Der Mann hatte jetzt richtigen Zorn in seiner Stimme: "Du feige Sau! Ich töte Dich!" Die Leute die aus dem Taxi ausstiegen wollten zu ihrem dort parkenden Auto gehen, aber der Mann stellte sich ihnen in den Weg und lehnte sein Fahrrad an das Auto. Er ging in die Einfahrt die zu meiner Wohnung führt, brüllte da lauthals weiter und trat gegen ein großen Holztor. Ich wollte lieber nicht an ihm vorbei gehen, machte einen großen Bogen und stellte mich zu den Leuten die nun abwechselnd ihn, sein Fahrrad am Auto, mich und sich ratlos ansahen. Mir fiel auf, daß ich den Mann schon öfter sah und hörte. Später erfuhr ich, daß er Mitte 50 ist. Er sieht gepflegt aus, hat eine sportliche Statur und fällt sonst nicht weiter auf. Nur manchmal sitzt er spät abends oder nachts in der Nähe meiner Wohnung auf einer Mauer und beschimpft sich biertrinkend mit anderen Mauerhockern. 
Ich erzählte dem Trio davon, und sie wollten gemeinsam mit mir warten bis er sich verzieht. Wir beachteten ihn gar nicht weiter und unterhielten uns einfach leise. 
Und da war es wieder. 
Einer sagte: "Ach, und Sie wohnen hier? Ist eine nette Ecke." 
Ich sagte: "Hast Du mich etwa gerade gesiezt!?" 
Er sagte: "... ich wollte nur höflich sein..."  
Ich sagte: "Achso. Naja... Danke...", und fühlte mich plötzlich bleiernd müde.
Einer der drei nahm in der Zwischenzeit das Fahrrad und stellte es sorgsam auf dem Bürgersteig ab. Daraufhin zog der randalierende Mann sich den Gürtel aus der Hose, wickelte sich jedes Ende links und rechts um die Hände und lief so mit ausgestreckten Armen auf den jungen Mann zu. Die junge Frau die dabei war sagte: "Ääähh... Ich glaube jetzt sollten wir die Polizei rufen bevor schlimmeres passiert...?" Der Mann blieb plötzlich stehen und brüllte: "Polizei!? Jaaa, die Polizei ruf ICH jetzt an! Und dann zeig ich euch wegen Sachbeschädigung und Körperverletzung an!" Er lief auf die andere Straßenseite, zog ein Handy aus der Hosentasche und rief: "Kommt doch her!" Traut euch nicht, wa? Kommt doch!" Ich sah die drei an und fragte: "Körperverletzung?" Sein logisches Denkvermögen tat er dann folgendermaßen kund: "Da guckt ihr jetzt blöd, nä? ICH ruf nämlich zuerst an, dann kommt IHR alle in die Ausnüchterungszelle!" Ich drehte mich kurz um, weil ich darüber lachen musste. 
Zu diesem Zeitpunkt hätten wir alle gehen können. Unsere Wege waren wieder frei, und es machten auch alle Anstalten aufzubrechen. 
Dann aber hörten wir den Mann mit herzzerreißender Furcht ins Telefon jammern: "Bitte! Kommen Sie schnell! Ich hab solche Angst! Das sind ... eins, zwei, drei, vier Jugendliche, die mich angegriffen haben! Die haben mich vom Fahrrad geschmissen und wollen mich ausrauben! Bitte helfen sie mir! Die greifen gleich wieder an! Kommen Sie schnell!" Er grinste kurz zu uns rüber, nahm seinen Gürtel und schlug damit kräftig gegen ein Kioskschild. Es gab einen lauten Knall, der von den Hauswänden abprallte und durch die ganze Straße hallte. Er schrie auf als wäre furchtbares passiert, legte auf und steckte Das Telefon wieder zurück. Seine Stimme wechselte wieder zu zornigem Gebrüll: "Jaha! Da guckt ihr jetzt blöd aus der Wäsche! Lauft schnell weg, gleich seid ihr dran!" 
Und dann guckten wir wirklich blöd aus der Wäsche, denn der Mann schlug sich selbst mit seinen Fäusten ins Gesicht... 
Ich brachte nur noch ein verdutztes "Äääähhh..." hervor, als wir dann innerhalb kürzester Zeit von fünf Streifenwagen umringt waren. Aus einem Wagen vor und einem Wagen hinter uns sprangen je ein Polizist mit den Händen an den Waffen. Wir standen da wie versteinert und festgewurzelt und starrten den Mann an, der sich mittlerweile liegend gekrümmt auf dem Boden platziert hatte. Es kam ein Krankenwagen hinzu. So wie eben noch der Gürtelschlag durch die Straße hallte, war nun die ganze Luft in blaues Licht getaucht. 
Mir fiel die Tasche aus der Hand, und ich fühlte mich absolut überfordert.
Andere Polizisten liefen zu dem Mann, bildeten eine menschliche Mauer um ihn und überprüften seinen Zustand. Wir wurden auseinander gezogen, und einer des Trios wurde schon abgetastet. Die junge Frau fand als erste die Sprache wieder und erklärte kurz was passierte, als ein Polizist von der anderen Straßenseite rief: "Entwarnung, den kennen wir schon! Guckt mal, er schlägt sich selbst!" Wir wurden losgelassen, und drei Streifenwagen fuhren wieder weg. Der Mann drehte jetzt richtig auf und versuchte die Polizisten mit Lautstärke davon zu überzeugen, daß wir ihm die Verletzungen zugefügt hätten. Er wurde von uns ferngehalten, während wir nochmal genau schildern sollten was passiert ist und unsere Personalien aufgeschrieben wurden. Wir sollten aus seinem Sichtfeld treten solange seine Sicht der Dinge dokumentiert wurde.
Wir stellten uns in die Einfahrt zu meiner Wohnung, rauchten schweigend und beobachteten, wie der Mann mittlerweile um sich tretend in einen Streifenwagen gesetzt und weggefahren wurde.
Die drei verabschiedeten sich nun, und ich sagte: "Ja... Danke, daß Ihr gewartet habt." Dem einen jungen Mann gab ich extra noch die Hand und sagte: "Machen Sie's gut!"
Die guckten mich an, als wäre ich nicht ganz dicht.
Ich lächelte, ging und fotografierte noch eine Rose vor dem Haus.


Hätten die drei das noch gesehen, hätten sie bestimmt den Krankenwagen wieder zurückgerufen...

 
Feyans-World - by Templates para novo blogger