Hast Du gut geschlafen?

13. September 2011

Der vergangene Mittwoch war ein echt anstrengender Tag.
Ich traf anstrengende Kinder, hörte unfassbares von anstrengenden Müttern und unsägliches von Lehrern, wo ich nur den Kopf schütteln und mir auf die Lippen beißen konnte.
Zu allem Überfluß entleerte noch die Batterie einer unserer vielen Rauchmelder ihre letzte Energie und schlug Alarm. Es ist dann nicht so, daß nur diese eine Rauchmelder aus vollen Kräften piept... Nein... Die Mistviecher sind funkverbunden, und es schreien dann ALLE Rauchmelder herz- und trommelfellzerreißend. Die anderen kann man nach und nach ausstellen, aber der betroffene brüllt einem dann noch weiter seinen Zustand in die Frisur. Solange, bis man ihm eine neue Batterie in den Rachen wirft.
Ich war so froh, als ich nach Feierabend und einem Kaffee die letzte Station des Tages anpeilen konnte. Der Supermarkt! Wenn das überstanden ist, könnte ich ein bisschen meine Gitarre quälen, und dann ist Ruhe.

Am Brotregal stand ein Mann, der nach Verzweiflung, Pipi, Hunger, erbrochenem und Alkohol roch. Er nahm einen Kamm aus seiner Hosentasche und sortierte seine ungewaschenen Haare. Seine Finger waren so voller Dreck, daß ich nicht erkennen konnte wo die Fingernägel anfangen. Ich wartete bis er weiterging und griff dann schnell ein Toastbrot. Sein Geruch war so beißend und schwer, daß er einfach stehenblieb, obwohl der Mann schon weitergegangen war. Ich konnte nicht verhindern, daß ich husten und das Gesicht verziehen musste. Der Mann drehte sich ruckartig um, grinste irgendwie... schelmisch und kam wieder zurück.
Er sagte: "Nimm ein anderes Brot!"
- "Warum?"
- "Guck doch! Aus dem hab ich eben zwei Scheiben rausgenommen."
- "Oh! Danke!"
Wir lächelten uns höflich an, ich versuchte nicht zu atmen. Er schluffte wieder weiter, ich legte die Packung ganz nach hinten und nahm mir eine andere. Gedankenvoll ging ich weiter. Er sah so müde aus. Es war so eine Müdigkeit, bei der einfacher Schlaf nicht ausreichen würde. Eine ausgiebige Dusche, eine Rasur, einen anständigen Kaffee, neue Schuhe, einen gewaschenen Mantel, eine magenfreundliche Mahlzeit mit anständigen Zähnen, eine Umarmung von Herzen und ein sauberes warmes weiches Bett dachte ich, könnten seine Müdigkeit vielleicht für einen kurzen Moment bei Seite legen. Aber das war nur Spekulation. Ich sah an ihm einfach nur Resignation, Müdigkeit und tiefes Unglück.
Ich kam an der Wursttheke an, und er stand wieder vor mir. Er fragte höflich aber eine Antwort aus seinen Vorstellungen fordernd, ob er ein oder zwei Scheiben Mortadella bekommen könnte. Es dürfte auch gerne Verschnitt sein. Er hielt der Dame die beiden Scheiben Toast vors Gesicht, und sie verzog es ebenso unkontrolliert, wie ich es vorher tat. Sie lächelte professionell, sagte "Gerne!" und legte ihm eine frisch geschnitte Scheibe Mortadella aus der Auslage auf jede Toastscheibe. Er bedankte sich und ging weiter.
Ich sah die Frau an und fragte mich, ob sie sich nicht wunderte, wo er die Toastscheiben her hat. Aber sie war schon wieder mit anderen Kunden beschäftigt.
Auf dem Weg zur Kasse ging ich an der Haushaltswarenabteilung vorbei und sah wie der Mann eine Packung Frischhaltefolie öffnete, etwas herausnahm und seine Brote einwickelte. Ich musste grinsen. Er tat alles so, als wäre er in seiner riesigen Küche. Ganz selbstverständlich. Und niemandem schien es aufzufallen.
An der Kasse dann stand er hinter mir, und ich wollte nur noch frische Luft. Ich versuchte alles schnell einzupacken und sah, wie er eine Dose Bier mit einem Leergutbon bezahlte. Er verließ den Laden, und die Frau an der Kasse besprühte mit hysterischem Blick alles mit Desinfektionsspray.

Noch zu Hause musste ich über diesen Mann nachdenken. Undefinierte Gedanken, die ich mehr fühlte als dachte.
Ich spielte meine Gitarre und sang meine Stimme. Der Tag war vorbei.
Am nächsten Tag war mir elend. Mein Rücken tat so weh, es war viel zu früh, der Kaffee schmeckte nicht, ich hatte Husten, und ich hatte nicht das Gefühl wirklich geschlafen zu haben. Zum Jammern war mir.
Dann musste ich wieder an den Mann denken und schämte mich kurz ein bisschen über meine Unzufriedenheit. Ich sollte froh sein.

Später dann konnte ich mir eine Pause von der Arbeit freischaufeln, und ich freute mich auf eine Zigarette auf der Parkbank.
Auf der Nachbarparkbank saß der Mann vom Vortag. Seine Haare waren kürzer, und sein Gesicht war rasiert. Die Finger hatten Hautfarbe, und es stieg kein beißender Geruch auf. Er lächelte zahnlos in einen löchrigen Jutebeutel hinein und machte Geräusche, als würde er gleich "Hehehehe!" sagen. Aus dem Beutel zog er ein Gebiß und setzte es ein. Er stellte die Dose Bier auf die Bank und packte grinsend zwei Scheiben Toast mit Mortadella aus. Eine Scheibe Mortadella legte er auf die Folie, klappte die beiden Brotscheiben zusammen und biß genüßlich rein. Dann öffnete er das Bier, trank einen großen Schluck und machte das typische "Ahhhh!" Geräusch nach dem Trinken. Er wurde abgelenkt, als ich meine Zigarette anzündete. Er kaute hastig auf und fragte, ob er die haben könnte. Da ich nur diese bei mir hatte, machte ich sie vorsichtig wieder aus und legte ein Feuerzeug und die Zigarette neben sein Bier. "Oh! Toll! Dankeschön." Er grinste die ganze Zeit. "Hast Du gut geschlafen?", fragte ich, und er kaute "Ja, sehr gut sogar!" Ich stand auf und ging wieder zurück. Hätte er keine Ohren, hätte er im Kreis grinsen können "Hmhm! Ich wünsch Dir einen schönen Tag!", sagte er. - "Danke. Den wünsche ich Dir auch."

2 Kommentare:

M-J-Revenge hat gesagt…

C’est la vie! >;-)

Feyan hat gesagt…

Allerdings.
"Leider" manchmal.

 
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