Mein Rabe und ich

28. März 2011

Am Donnerstag ist meine liebe Tochter 12 Jahre alt geworden.
Und soll man mich ruhig für bekloppt halten, aber... Jedes Jahr spielt sich in mir das gleiche ab. Ich werde sentimental, und ich denke an die Zeit vor ihrer Geburt und daran wie es dann war, als sie nun endlich bei uns war. Es sind tolle Erinnerungen.
Zumindest male ich ich mir alles toll.
Leicht war es nicht, denn ich war gerade 18 als sie zur Welt kam. Ich war noch genauso klein wie meine Freunde die ich damals hatte. Alle befanden sich in irgendwelchen "Findungsphasen" und gingen auf Partys und wechselten Partner, sie fingen an zu studieren oder hatten Krach mit ihren Eltern. Es war halt diese Phase wo die Pubertät sich dem Ende neigt und man sich noch einige Jahre davor drückt tatsächlich erwachsen zu sein. Und genau in dieser Zeit mutierte ich zu einem hormonbeladenen Mutterschiff. Ich zog mit dem Vater meiner Tochter zusammen, faselte von "Verantwortung" und "Bodenständigkeitkeit", war vollends am "Nestfieber" erkrankt und boykottierte auf bissige und ziegenhafte Art die Saufgelage die jetzt in der "coolen neuen Bude" angedacht waren. Ich wurde immer runder und furienhafter und wollte lieber, daß das Kinderbett zusammengebaut wird, als daß man das nächste Metalfestival plant.
Ich stieß auf Unverständnis, und Freunde zogen sich zurück. Ich war zu einem dunklen und unhaltbaren Zustand geworden. Auf einer Party platzte mir in den Morgenstunden die Hutschnur, und ich bewarf meinen Partner und unsere Freunde mit Dosenbier, weil ich schlafen wollte und jemand umgehend die Kotze aus dem Badezimmer entfernen sollte.
Der Höhepunkt war erreicht. Es rief kaum jemand mehr an oder kam uns besuchen. Mein Partner machte mir Vorwürfe, daß man so nicht mit Freunden umgehen kann, und daß er so langsam auch keine Lust mehr auf meine Zickigkeit hat. Und er hatte Recht.
Man sollte seine Freunde nicht mit Dosenbier bewerfen.
Es entstand eine traurig ruhige und nachdenkliche Zeit für mich. Ich machte mir Gedanken über mich und uns, die anderen, den Frühling die Zukunft und alles andere auch.
In dieser Zeit verliebte ich mich in ein Buch. Ich hab es nie gelesen, aber ich bin bis heute unsterblich verliebt. Ich hatte immer das Gefühl, daß man es nicht lesen muß, weil es ein aussagekräftiges Comic ist. Es ist von Pierre Christin und heißt "Die Kreuzfahrt der vergessenen". Enes Bilalović hat die großartigen Bilder gezeichnet. Ein Bild hat es mir besonders angetan. Das mit dem Raben. Ich weiß nicht, wie das Bild heißt.
Immer wieder hab ich mir das Buch aus dem Regal genommen, die Seiten geblättert um die Bilder zu sehen und mich auf die letzten Seiten gefreut, weil da der Rabe war. Das Bild ist düster. Eine mit Tinte angefertigte Strichzeichnung. Der Rabe sitzt auf der Hand eines Mannes, und beide strahlen Stolz und Erhabenheit aus. Sie sind so innig miteinander, daß ich mich immer wohl und zuversichtlich fühle, wenn ich sie ansehe. Ich habe das Bild zum Anlass genommen ruhiger zu werden. Wenn das Leben nichts als ein düsteres Bild bietet, kann man trotzdem da stehen und mit sich und seiner Welt innig sein. Ich könnte es ja einfach mal versuchen.
Und so kam es dann, daß mein Partner mir mit höchster Vorsicht zu erklären versuchte, daß am Folgen Wochenende einige Leute da wären... Und ich sagte nur "Ja, ist ok." und kaufte mir Ohropax. Ich fragte vorsichtahalber eine Freundin, ob ich an diesem Wochenende bei ihr übernachten könnte und machte mir einen Plan, wie ich mich beschäftigen könnte ohne "die Jungs" beim Feiern zu stören. Da hatte ich DIE Idee. Einmal möchte ich wirklich in dieses Bild eintauchen. Ich werde es nachzeichnen! Mit Feder und Scriptol auf einem DinA 3 Blatt. Und das fertige Exemplar werde ich einer Freundin zum Geburtstag schenken. Sie hat Verständnis für solche Tiefsinnigkeiten und würde sich sehr freuen.
Es folgte ein Wochenende voller Ironie. Ich versuchte nicht daran zu denken, daß ich morgen wahrscheinlich die widerlichsten Körperflüssigkeiten aus den ungewöhnlichsten Ecken rauswischen, die kaputtesten Typen vom Boden aufräumen müsste und es Jahre bräuchte, bis die Wohnung nicht mehr wie eine Lederjackenräucherei riecht. Bewaffnet mit dem guten Hörschutz aus Wachs fing ich an Strich für Strich in das Bild zu tauchen. Ich pinselte, trank Tee, rückte ab und an den zappelnden Bauch zurecht und tauchte und fühlte mich wohl. Irgendwann fiel mir auf, daß ich gar keinen Lärm wahrnehme. Also gar keinen. Der einzige Krach war die Stille. Ich konnte quasi das Nichtvorhandensein von Geräuschen hören. Als ich die Ohrstöpsel rausnahm konnte ich kleine klackernde und blätternde Geräusche hören. Ich ging ins Wohnzimmer und traute meinen Augen nicht. Da sitzen die langhaarigen da ganz brav und spielen CLUEDO! Sie wollten mich mit einem stressfreien Abend überraschen. Aber da ich offensichtlich beschäftigt war, wollten sie mich nicht stören und haben schonmal ohne mich angefangen... Ja... Und da ich wirklich beschäftigt war bedankte und entschuldigte ich mich und ging weiterpinseln.
Als ich mitten in der Nacht fertig und stolz und erschöpft war, schliefen schon alle wohlsortiert mit Decken auf Sofas und in Betten. Die Aschenbecher wurden geleert, und auch das Badezimmer sah ganz anständig aus.
So entstand mein erstes Bild mit dem Raben, und wie gedacht verschenkte ich es. Aber ich hab es immer vermisst.
Etwa fünf Jahre später zog ich mit dem Kind aus diesem Haus aus und nahm mir mit der Freundin die damals dieses Bild bekam eine große Wohnung.
Und da war er wieder. Mein Rabe. Der Mann. Die Ruhe. Mein Zuhause. Ich tat wohl das verrückteste, was ich je tat. Ich lieh mir das Bild aus und zeichnete es nochmal. Einen Abend und eine Nacht saß ich da, trank Wein, dachte an damals und tauchte Strich für Strich wieder in mein Heim ein, und diesesmal würde ich es nicht gehen lassen. Es soll bei mir bleiben und immer dort hängen, wo ich es sehen kann.
Mittlerweile wohnen mein Mädchen und ich allein.
Am letzten Donnerstag dann war einer "der Jungs" hier. Wir feierten den Geburtstag meiner Tochter, und als sie schon im Bett war feierten wir weiter. Und wir redeten von damals und erinnerten uns, und wir freuten uns darüber was bisher aus uns geworden ist. Selten habe ich so oft auf dieses Bild geguckt wie an diesem Abend.



Ich bin froh, daß ich zu Hause bin.

4 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Hach, ich erinnere mich, wie wir in meinem Zimmer gefeiert haben. Das waren die besten Feten.

XTS

Feyan hat gesagt…

Allerdings war das cool! :)

Fynn hat gesagt…

Das Bild kenn ich doch *g*

Feyan hat gesagt…

Ja! Aus meinem Wohnzimmer :)

 
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